URHEBERRECHTLICHER HINWEIS

Die Sendemanuskripte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus

 

 

Radiofeature SendemanuskriptInterview Prof. Dr. Michael Bach 

Radiofeature SendemanuskriptInterview Annick Starren 

Radiofeature SendemanuskriptInterview Heli Luhtmaa 

Radiofeature SendemanuskriptInterview Rebecca Peters 

Radiofeature SendemanuskriptInterview José Augusto Gómes Paixão 

Radiofeature SendemanuskriptInterview António Matos Cristovão 

 

 

Interview Prof. Dr. Michael Bach

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Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit Prof. Dr. Michael Bach

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Wearout ist letztlich eine Form der Zermürbung oder Demoralisierung. Und das ist etwas anderes aus Burnout. Burnout ist letztlich ein Erschöpfungszustand, der dadurch zustande kommt, dass ich mich verausgabe. Wearout ist ein Erschöpfungszustand, der dadurch zustande kommt, dass ich ständig gegen Etwas ankämpfen muß, was mit meinen inneren Werten in Widerspruch steht.

 

Sprecher

Sagt Prof. Dr. Michael Bach, ärztlicher und kaufmännischer Leiter der Ambulante Psychosoziale Reha APR in Salzburg aus Österreich. Als Hauptredner des Seminars im September 2016 in Lissabon.hat er zwei Referate im Gepäck: Burnoutprävention und Sense of Coherence. Burnout 4.0 – präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungen für die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars. Burnout ist als Krankheit nicht anerkannt, sondern das ist eigentlich ein Sammelbegriff und eine Vorstufe von Erkrankungen wie Depressionen, die dann folgen können.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Es ist ein krankhafter Prozeß. Aber es ist nicht anerkannt selber als eine Krankheit. Einfach weil es nicht klar umschreibbar ist. Welche Merkmale zählen zu Burnout und welche nicht.

 

Sprecher

Verschiedene vorbeugende Modelle gibt es. Eines heißt „Job-Demand-Support-Model“ Das „Anforderungs-Kontroll-Modell“ nach Robert A. Karasek & Töres Theorell aus dem Jahre 1990. Zentraler Punkt in diesem Modell ist die Partizipation.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Partizipation heißt Teilhabe. Also wie gut kann ich an meinem Arbeitsplatz mitgestalten, wie dieser Arbeitsplatz ablaufen soll. Also wenn ich einen hohen Entscheidungsspielraum habe, dann bin ich belastbarer, als wenn ich keinen hohen Entscheidungsspielraum habe. Wenn ich viel zu tun habe und gleichzeitig sehr strenge Regeln und Kriterien habe, wenn das sehr stark von Außen gesteuert ist, ist das ein höheres Risiko, als wenn ich viel zu tun habe, aber Gestaltungsfreiraum habe.

 

Sprecher

Die Beschreibung von Krankheiten – so auch von seelischen Erkrankungen – ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO in einem Katalog aufgeschrieben. Das heißt ICD 10.

Ziemlich umfangreich. Ein zweiter Katalog bezieht sich vereinfacht gesagt auf die Rehabilitation und heißt ICF. Auch von der WHO. Was ist das?

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

ICD ist die Krankheitsklassifikation und ICF ist die International Classification of Functioning. Das heißt es prüft, wie gut kann ich mein Leben meistern. Und das kann auch mit bestimmten Krankheitssymptomen sein. Ich kann mich also, wenn ich Rückenschmerzen habe, mehr oder weniger beeinträchtigt fühlen, kann meinen Alltag, meinen Beruf, meine Partnerschaft leben oder auch nicht. Also das sind jetzt parallele Konzepte, die aber nicht deckungsgleich sind. In der kurativen Medizin, also in der normalen Medizin, gegen wir üblicherweise davon aus, daß jemand gesünder wird. In der Rehabilitation gehen wir davon aus, daß jemand funktionaler wird. Und das ist nicht genau das selbe Ziel. Also zum Beispiel kann jemand durchaus weiterhin krank bleiben, ein Krebspatient zum Beispiel, kann aber soweit wieder hergestellt werden, das er wieder arbeitsfähig wird. Dann ist er funktional gesund, obwohl er noch Krankheitszeichen hat.

 

Sprecher

Gesunde Menschen brauchen gesundheitsfördernde Maßnahmen – an ihren Arbeitsplätzen. Und nicht nur dort. Prävention heißt das.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Prävention heißt eigentlich ich setze eine Intervention, um Krankheit zu verhindern, bei jemandem, der zum Beispiel komplett gesund ist. Und diese Intervention die kostet Zeit, die kostet Geld. Kostet ja auch für den Betreffenden Zeit und Geld möglicherweise. Ich muß ja zum Beispiel dann an so einer Schulung teilnehmen. Und die Frage ist: Wie kann ich das ethisch rechtfertigen? Kann ich das von einem Mitarbeiter zum Beispiel verlangen? Kann ich ihm das aufzwingen? Und da kommen wir in eine ethische Diskussion hinein. Mittlerweile wissen wir, dass Präventionsprogramme wirksam sind. Das heißt sie sind tatsächlich geeignet, um Krankheiten zu verhindern. Natürlich nicht in einhundert Prozent der Fälle. Aber zu einem gewissen Prozentsatz verhindere ich, dass jemand krank wird. Aber gleichzeitig setze ich eine Massnahme, die auch Zeit und Geld kostet, die auch einen gewissen Aufwand hat und die möglicherweise auch Schaden zufügen kann. Und die Frage ist: Wie kann ich das rechtfertigen? Meiner Ansicht nach ja, weil damit die Chance erhöhe, dass jemand gesund bleibt. Aber es gibt auch die andere Meinung dazu. Also die ist auch legitim.

 

Sprecher

Ihr zweites Hauptreferat heißt Sense of Coherence. Eine Kernaussage der Salutogenese. Es geht um Orientierung, Vertrauen und Gefühl.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Es geht um das Grundvertrauen, das ich habe in mich und in die Welt. Das ich ein Sinngefühl erlebe, daß das was ich tue, auch irgendwo eingebettet ist. Da gibt es jetzt drei Teilaspekte. Die Verstehbarkeit. Die Handhabbarkeit. Und die Bedeutsamkeit. Verstehbarkeit heißt die Welt macht irgendwie Sinn. Es ist Struktur erkennbar, es ist nicht nur Chaos und ich erkenne dieses Muster. Ich erkenne, wie muß ich mich verhalten, daß ich irgendwie einigermaßen funktioniere. Die Handhabbarkeit bedeutet, ich habe auch das nötige Wissen und die nötigen Fähigkeiten dazu, um eine Aufgabe zu erfüllen. Also ich fühle mich jetzt nicht hilflos ausgeliefert und ich bin auch nicht überfordert mit den Aufgaben, die an mich heran gestellt werden. Und die Bedeutsamkeit heißt es macht Sinn. Arbeit macht Sinn. Ich arbeite nicht einfach nur sinnlos vor mich hin und denke mir am Abend, was war das für ein Quatsch, den ich da heute den ganzen Tag gemacht habe, sondern ich erkenne auch, daß es einen gewissen Nutzen hat und einen Sinn hat. Und das ist damit gemeint. Mit diesem Kohärenzgefühl. Mittlerweile wissen wir auch, daß wir das fördern können. Wiederum auf individueller Ebene, aber auch auf Systemebene. Es kann ein Unternehmen auch kohärenzfördernd sein.

 

Sprecher

Ein beliebtes Spiel der Menschen ist die Welt als Wille und Vorstellung. Frei nach Arthur Schopenhauer, dem deutschen Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts. Und einige Physiker sagen dann gerne: Die Welt könnte auch ganz anders sein. Kann diese Sichtweise nicht auch zu seelischen Erkrankungen führen?

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Bis zu einem Gewissen Grad ist die Welt immer so wie wir sie uns vorstellen. Die Frage ist ob es auch reproduzierbar ist. Es kann ja sein, daß ich mir vorstelle, alle Menschen sind gegen mich. Und jetzt ist die Frage: Wie oft mache ich diese Erfahrung? Wenn ich die öfter mache, dann glaube ich auch daran. Dann werde ich mich aber auf eine ganz bestimme Art und Weise schon so verhalten, daß die Welt tatsächlich gegen mich ist. Dann werde ich mit feindseelig verhalten. Insoweit konstruiere ich immer auch ein Stück weit meine Welt mit. Ich werde geprägt durch die ersten Beziehungserfahrungen und das übertrage ich letztlich auch auf neue Beziehungen. Irgendwann merke ich aber dann, daß das eigentlich nicht paßt. Und ich zerbreche möglicherweise an diesem Weltbild. Und begebe mich dann in Behandlung. Das ist ja die Triebfeder für manche Menschen dann in eine Psychotherapie zu kommen.

 

Sprecher

Hypothalamus, Sympatikus, Mandelkern und der menschliche Stress. Die Höhe und die Folgen von Stress sind biologisch messbar. Aber da gibt es ja noch einen spirituellen Bereich. Spielt der da mit rein? Ist der draußen? Hat der Einfluß darauf? Sehen Sie das? Berücksichtigen Sie das? Oder ist das für Sie als Mediziner völlig außen vor?

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Das ist die Frage, welche Ideologie sie haben. Sie können jetzt sagen, daß Biologische oder das Körperliche ist grundsätzlich etwas anderes, als das Geistige oder Seelische. Also das wäre sozusagen eine dualistische Weltsicht. Sie können aber auch sagen: Das ist letztlich die andere Seite einer Medaille und kommen halt zu irgendwelchen monistischen Modellen.

 

Sprecher

Das ist aber nicht meßbar.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Nein nein. Das macht ja auch nichts. Das widerspricht ja nicht der Biologie, daß ich eine andere Seite habe, die ich nicht messen kann. Das Meßbare ist erklärbar. Das Andere ist verstehbar.

 

Sprecher

Manche persönlichen Krisen kommen plötzlich. Manche kündigen sich aber auch an.

Also: Warum nicht folgenden Tipp beherzigen: Planen sie ihre Krise – die nächste kommt bestimmt. Das rät Prof. Dr. Michael Bach.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Das ist ein wenig provokant. Es geht jetzt darum, die Bewältigung der Krise zu planen. Also sich vorzubereiten. Angenommen ich erlebe jetzt wieder eine Krise. Was werde ich tuen? Also zum Beispiel: Was könnte ich tuen, wenn ich plötzlich schwer erkrankte? Wie kann ich mich da vorbereiten? Wie kann ich da vielleicht auch vorbeugen oder vorbauen? Was könnte ich tuen, wenn zum Beispiel einem Menschen, den ich sehr liebe, etwas zustößt? Und das sind Dinge die werden uns passieren. Zum Teil sind sie uns schon passiert.

 

Sprecher

Dafür braucht es aber Mut. Denn wir Menschen neigen ja dazu – uns mit diesen Fragen nicht zu beschäftigen.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Ja. Aber genau darum geht es. Wenn sie das alles verleugnen und sagen: ‚Mir passiert das nicht und ich will es gar nicht wissen‘, dann sind sie nicht gut vorbereitet auf den Stress, der auf sie zukommt. Und sie werden das erleben. Es wird ihnen nicht erspart bleiben. Wir werden alle irgendwann krank. Wir werden alle sterben. Und wir erleben, daß andere Leute, die wir gerne haben, vor uns sterben oder das denen einfach etwas Negatives widerfährt und wir müssen das aushalten können. Und jetzt ist die Frage: Akzeptiere ich das grundsätzlich, daß die Welt so ist oder wehre ich das ab und will es gar nicht wissen. Also Kopf in den Sand. Ja dann holt mich die Wirklichkeit einfach unvorbereitet ein. Und da bin ich viel gefährdeter, dann in so einer Krisensituation nicht adäquat zu reagieren.

 

Sprecher

Das wäre aber doch die sich selbst erfüllende Prophezeihung.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Nein. Selbsterfüllende Prophezeihung wäre wenn ich sage, ich provoziere die Krise. Das meine ich damit nicht. Sondern es geht darum zu sagen, entschuldigen sie den Ausdruck: Shit happens. Das ist keine konstruktivistische Sicht, sondern das ist eine Erkenntnis. Die Welt ist nicht nur gut. Sie hat auch negative Seiten. Schicksalsschläge die wir erleben. Veränderungen auf die wir irgendwie reagieren müssen. Und das ist bei jedem Menschen so. Das können wir gar nicht verhindern. Egal ob wir es planen oder nicht. Wenn ich mich aber grundsätzlich darauf vorbereite, daß mir so etwas passieren kann, wenn ich mir überlege wie reagiere ich dann, was tue ich dann, dann bin ich besser vorbereitet. Das ist Krisenmanagement letztlich.

 

Sprecher

Es gibt ein Fragebogenmodell – dessen Ergebnisse die Burnoutgefahren und die Widerstandsfähigkeiten anzeigen. Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster oder kurz AVEM heißt dieser Fragebogen. Quasi eine Art Früherkennung.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

AVEM ist ein Fragebogen aus der Arbeitspsychologie, der im deutschsprachigen Raum entwickelt wurde, um zum Beispiel Arbeitsrisikoprofile einzuschätzen. Und der ist wahrscheinlich das beste Instrument, das wir derzeit haben. Besser als alle Burnout-Skalen oder Burnout-Inventare, weil der tatsächlich auch wissenschaftlich erwiesen solche Risikoprofile erstellen kann. Das heißt ich kann im voraus einem Menschen sagen: ‚Wenn du so weiter machst, wenn du mit der Grundhaltung arbeiten gehst, gefährdest du dich‘. Also ich kann damit auch in der Prävention etwas erreichen. Indem ich den Patienten den Spiegel vorhalte und sage: ‘An den Dingen solltest du etwas ändern, damit du nicht dich gefährdest später ein Burnout zu entwickeln‘.

 

Sprecher

Im Grunde muß es in jedem Unternehmen Fachleute für die Burnoutthematik und für die psychosoziale Risikofindung geben. Aber wie kommen die da hin?

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

In größeren Unternehmen gibt es dafür ja auch die Arbeitsmediziner und Arbeitspsychologen oder Organisationspsychologen, die letztlich diese Expertise mitbringen und zur Verfügung stellen. Mittlerweile ist es aber auch in Managementausbildungen so, daß die auf solche Dinge auch vorbereitet werden. Jemand der heute eine moderne Managementakademie durchläuft, ist eigentlich darauf vorbereitet, daß betriebliche Gesundheitsvorsorge ein wichtiges Managementtool ist. Gehört eigentlich zum Qualitätsmanagement dazu. Und jetzt ist die Frage: Eigne ich mir als Führungskraft selber das Wissen an oder hole ich mir letztlich die Hilfe von Außen?

 

Sprecher

In der Wirtschaftswelt – in Deutschland zum Beispiel – werden zirka achtzig Prozent des wirtschaftlichen Handelns von mittleren und kleinen Betrieben gemacht. Da findet man dieses Qualitätsmanagement nicht so oft.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Stimmt. Deswegen war ja auch im Auftrag es Arbeitsministeriums dieses Projekt in Deutschland dieses PsyGA, also ein spezielles Förderprogramm für kleine und mittlere Unternehmen, damit auch die Arbeitgeber in diesen Betrieben sensibilisiert werden für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Da ist noch viel zu tun.

 

Sprecher

Sie haben ein Modell aus den USA für die New Yorker Polizei vorgestellt. Das ist ja hier auch sehr kontrovers aufgenommen worden. Gentests. Der Mensch wird wie eine Maschine vermessen. Um herauszufinden, ob ein Mensch für den Polizeiberuf zum Beispiel genetisch oder biologisch stressgeschützt ist. Bei den GewerkschafterInnen kommt das gar nicht gut an. Man muß das relativieren.

 

O-Ton Prof. Dr. Michael Bach

Ein Gentest ist letztlich ein Meßinstrument. Das ist so, als wenn sie jemandem den Blutdruck messen. Oder wenn sie jemandem einen Fragebogen vorlegen. Und die Frage, die ja auch völlig zurecht diskutiert wurde: Wieweit kontrollieren wir, was mit den Ergebnissen gemacht wird? Das es diese Tests gibt und das sie mittlerweile auch eingesetzt werden können, das ist eine Tatsache. Dem können wir uns jetzt verschließen, indem wir sagen: ‚Wir wollen das nicht‘ oder ‚wir tabuisieren das‘, ‚wir verbieten das‘. Trotzdem gibt es diese Instrumente. Also die Aufgabenstellung lautet ja: Kann ich das einsetzen zu Wohle der Leute oder kann ich Mißbrauch damit betreiben. Und wenn das rechtzeitig erkannt wird, kann ich ja auch Vorkehrungen treffen. Das ist aber eine politische Dimension. Das ich zum Beispiel gesetzliche Rahmenbedingungen schaffe, die bestimmte Dinge unter Strafe stellen oder verbieten. Ganz kann man es wahrscheinlich nicht verhindern. Wie wir das ja auch am Beispiel der NSA und anderer Institutionen bereits kennen gelernt haben.

 

 


Interview Annick Starren

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Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit Annick Starren

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

O-Ton Annick Starren

Ich kann nicht sagen ob es mehr oder weniger geworden ist. Ich kann aber sagen, daß es sich verändert und entwickelt. Und die Risiken entwickeln sich auch.

 

Sprecher

Sagt Annick Starren aus wissenschaftlicher Sicht über Burnout und psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz in der Europäischen Union. Als Referentin stellt sie das Informationsprojekt Healthy Workplaces for All Ages (Gesunde Arbeitsplätze – für jedes Alter) vor. Das wird von der Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz EU-OSHA aus Bilbao in Spanien gemacht.

Burnout 4.0 – präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungen für die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars. Die gebürtige Niederländerin stellt im Seminar September 2016 in Lissabon fest, dass zirka 60 % aller in Europa arbeitenden Menschen von psychosozialen Risiken betroffen sind. Und das betrifft alle Branchen. Zum Beispiel auch ...

 

O-Ton Annick Starren

im Dienstleistungs- und im Servicesektor. Die Risiken wachsen natürlich auch in diesen Sektoren. Auch der Stress. Auch im psychosozialen Bereich. Zum Beispiel wenn man mit Patienten in Kontakt kommt oder mit schwierigen Kunden. Das sind Stressfaktoren, die jetzt zunehmen in diesen Sektoren.

 

Sprecher

Nun macht die EU-OSHA sehr viele Studien, erhebt in ganz Europa Daten zum Arbeitsschutz, zur Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz, zu den Arbeitsplatzbedingungen überhaupt. Für wenn sind denn die Ergebnisse? Für ArbeitgeberInnen? Für ArbeitnehmerInnen? Für wen sind Sie die Lobbyistin?

 

O-Ton Annick Starren

Wir haben hier auch diesen Begriff Dreiparteiensystem. In Deutschland heißt das aber anders. Also die Gewerkschaften sind vertreten, Arbeitgeber und die Politik. Im Gremium der EU-OSHA wird festgelegt, wie ein Programm auszusehen hat.

 

Sprecher

Sie haben gesagt, daß Gesundheitsvorsorge bei den jungen Leuten anfangen muß, damit sie bis in ihr Rentenalter arbeiten können und dabei gesund bleiben. Von einigen SozialpolitikerInnen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird ein höheres Renteneintrittsalter gefordert. Die Menschen sollen länger arbeiten. Damit sind die GewerkschafterInnen naturgemäß nicht einverstanden. Sie sehen neue Gefahren für Tarifverträge und Tarifautonomie. Was ja auch hier kontrovers diskutiert wurde.

 

O-Ton Annick Starren

Ich kann die Gewerkschaften sehr gut verstehen. Mit ihnen bin ich auch einer Meinung. Und es ist auch klar, daß die Gewerkschaften die ArbeitnehmerInnen vertreten und daher klare Standpunkte haben. Aber eigentlich können das leider nur die verantwortlichen Manager in den Betrieben verändern. Sie haben die Macht. Und deshalb wenden wir uns auch gezielt an die Arbeitgeber. Hören aber auch die ArbeitnehmerInnen an. Wenn jemand das ändern will, es verbessern möchte, dann ist es der Chef in einem Unternehmen.

Auch die ArbeitgeberInnen sollen gut auf die Probleme der Belegschaft eingehen. Beide stehen irgendwie mit dem Rücken zur Wand. Oft in den kleinen Familienbetrieben. Die kennen sich, die wohnen im selben Dorf oder in der selben Stadt. Und natürlich wollen diese Familienunternehmen auch, dass Sicherheit am Arbeitsplatz gegeben ist. Aber es ist nicht immer so einfach für diese ArbeitgeberInnen. Daher ist die Rolle und die Wichtigkeit von Gewerkschaften sehr bedeutsam.

 

Sprecher

Fügt Annick Starren hinzu. Jedes Unternehmen will heute Personalkosten einsparen. Oftmals geht das auch auf Kosten der Sicherheit am Arbeitsplatz.

 

O-Ton Annick Starren

Dieser neue Trend des so genannten Outsourcing greift um sich. Vor allem in kleineren Betrieben. Die sind SubunternehmerInnen von großen Firmen. Oder sogar Sub-Sub-Betriebe. Dann stellt sich im Bereich der Sicherheit am Arbeitsplatz die Frage wer verantwortlich ist. Die Verantwortung ist oft sehr vage und nicht sehr klar definiert. Es bestehen gesetzliche Regeln. Aber wer kontrolliert die Gesetze auf Einhaltung. Das ist vor allem bei SubunternehmerInnen ein großes Problem.

 

Sprecher

Ein Beispiel ist die Bauwirtschaft. Da arbeiten Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zusammen. Meistens – wie gesagt - in irgendwelchen Subunternehmen. Kontrolle ist dort oft nicht mehr vorhanden.

 

O-Ton Annick Starren

Es gibt einerseits die technische Koordination auf Baustellen. Aber dort arbeiten Menschen aus verschiedenen Kulturen über Subbetriebe zusammen. Und wie kann ich aus einem Betrieb einem anderen Beschäftigten aus einem anderen Subbetrieb vorschreiben, wie er das zu machen hat. Ich habe meine Meinung. Und er hat seine Meinung. Das ist alles sehr vage und diffus.

 

Sprecher

Wie finden Sie denn Ihr Gleichgewicht im Leben ? Wie sieht es mit Ihren gesunderhaltenen Aktivitäten aus?

 

O-Ton Annick Starren

Als Frage zum Burnout sage ich: Älter werden hilft. Zu Beginn einer beruflichen Laufbahn hat man immer nur Stress. Ich habe mit einem Kollegen darüber gesprochen und der hat mir gesagt: ‘Wenn du älter bist – hast du noch mehr Stress‘. Glücklicherweise war es aber nicht so. Wenn die Kinder einmal größer sind, kann man auch andere Prioritäten setzen. Dann weiß man, was man will und die Erfahrung ist auch größer. Und das hilft, um gegen den Stress anzugehen.

 


Interview Heli Luhtmaa

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Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit Heli Luhtmaa

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

O-Ton Heli Luhtmaa:

Für ETÖK, das ist das estnische Zentrum für Arbeitnehmerfragen, ist es wichtig, daß möglichst viele Arbeitnehmer mit einbezogen werden in diese Frage. Um dieses Problem gewußt zu machen und auch zu erörtern. Um auch alle Probleme zu erfassen. Mapping zu machen – was ist wichtig. Denn in Estland ist heute das wichtigste Problem: Es wird gedacht, Burnout ist eine private Angelegenheit. Jeder muß alleine mit Burnout zurecht kommen und es alleine bewältigen. Wenn eine Person mit diesem Problem alleine gelassen wird, ist es in Estland ziemlich schwierig, eine Sprechstunde bei einen Psychiater oder sogar bei einem klinischen Psychologen zu bekommen. Die Sprechstundenzeiten bei einem Facharzt sind für lange Zeit im voraus belegt. Und deshalb wenden sich viele Menschen auch der so genannten alternativen Medizin zu. Suchen Magier und Zauberer auf und erhoffen sich von ihnen Hilfe. Der ‚Otto Normalverbraucher‘ ist so zu sagen in den Zahnrädern des System gefangen und kann sich nicht zurecht finden. Gerade in diesem Bereich möchte ETÖK dann Hilfe leisten.

 

Sprecher

Sagt Heli Luhtmaa aus Estland. Sie ist Ärztin und vertritt das estnische Zentrum für Arbeitnehmerfragen ETÖK aus Tartu. Das ist Mitveranstalterin dieses Seminars im September 2016 in Lissabon, Portugal

Burnout 4.0 – präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungen für die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars. Das Thema ist in aller Munde. Und die so genannte Salutogenese – also die Dinge – die gesund erhalten – auch. In der Arbeitswelt und in der Medizin. In Estland gibt es viele junge Menschen. Hat das Burnout unter ihnen denn zugenommen?

 

O-Ton Heli Luhtmaa

Ja ich glaube schon, daß das Problem in den letzten Jahren schlimmer geworden ist. Es ist schwierig für einen jungen Menschen einen Weg auf den Arbeitsmarkt zu finden. Und den Markteintritt so zu sagen zu bewältigen. Einerseits haben wir einen Arbeitskräftemangel, aber andererseits mangelt es auch an Fachkräften und Spezialisten. Auch die Anforderungen an junge ArbeitnehmerInnen sind sehr hoch und schwierig zu bewältigen.

 

Sprecher

In Estland ist das Thema Burnout und psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz fast noch unbekannt - ein Tabuthema. Und das – obwohl es Tarifverträge und Arbeitsschutzgesetze gibt.

 

O-Ton Heli Luhtmaa

Ja. In Estland gibt es Tarifverträge in den größeren Betrieben. Die Gewerkschaften sind in Estland nicht so stark wie in den anderen Staaten. Es werden Verhandlungen geführt. Aber – sagen wir es so – der Druck auf die Arbeitgeber ist für sie erträglich. Sie halten das aus. Bei den Ärzten ist der Zeitdruck sehr hoch. Zum Beispiel muß ein Arzt in einer Stunde sechs PatientInnen annehmen. Und er muß die Arbeit von zwei Menschen machen, weil zum Beispiel eine Stelle überhaupt nicht besetzt ist. Oder jemand krank geschrieben ist und es deshalb Ausfallzeiten gibt. Diese Probleme sind nicht geregelt. In keinem Tarifvertrag. Ein Facharzt oder ein Hausarzt hat für jeden Patienten nach wie vor nur zehn Minuten Zeit. In Estland haben wir auch das System der ‚e-Gesundheit‘. Alle Formulare müssen online ausgefüllt werden und das dauert leider auch lange. Das ist alles in den zehn Minuten je Patient enthalten. Das ist ein großer Zeitdruck und eine große Arbeitsverdichtung.

 

Sprecher

Nun ist Estland ja bekannt für sein flächendeckendes, schnelles und freies Internet. Das müßte doch die Arbeit in den medizinischen Berufen erleichtern.

 

O-Ton Heli Luhtmaa

Ich möchte noch hinzu fügen. Ich arbeite als Notfallärztin in einer ländlichen Region. Und wir haben in den letzten Jahren das System ‚e-Notfallhilfe‘ eingeführt. Und hier haben wir auch zusätzlich Probleme, weil es in den ländlichen Regionen keine gute Funkverbindung gibt. Und man muß sich ja mit dem Patienten, dem Unfallopfer zum Beispiel, beschäftigen. Man muß die Formulare online ausfüllen. Aber man kommt nicht ins Online-Netz. Dann muß man alles doppelt machen. Also auch auf Papier alles ausfüllen. Und wenn man dann den Patienten in ein Krankenhaus bringt, sollten eigentlich alle Dokumente schon ausgefüllt sein. Und das konnten wir dann nicht gut machen. Das ist wieder ein Zeitdruck für uns. Wegen dieses e-Systems, das eigentlich alles schneller machen sollte.

 

Sprecher

Als Notfallärztin sind Ihnen die beruflichen Belastungen kein Fremdwort. Die kriegen Sie quasi dazu. Wie finden Sie Ihr Gleichgewicht zwischen Berufswelt und Privatleben? Im Sinne von Salutogenese.

 

O-Ton Heli Luhtmaa

Ich möchte das jetzt so formulieren. Ich persönlich bin relativ faul. Vielleicht bewege ich mich weniger als ich mich bewegen sollte. Und esse mehr als ich essen sollte. Aber was mich gesund erhält, ich würde sagen, daß ist die positive Einstellung zum Leben. Im Privatleben und im beruflichen Leben. Ich versuche immer mich positiv auf alles einzustellen. Und alles mit Humor zu leben. Kleine Witze auch über mich selbst. In meiner Gedankenwelt lasse ich mich nicht von der Traurigkeit überwältigen.

 


Interview Rebecca Peters

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus

 

Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit Rebecca Peters

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

O-Ton Rebecca Peters:

Ich mache ja Sprechstunden dreimal in der Woche. Und sehe so ziemlich viele Leute, die vorbei kommen, aller Alterskategorien, aller Sektionen, Frauen, Männer, junge Leute. Und ich stelle fest, daß ich also mindestens einmal in der Woche jemanden haben, der bei mir in der Sprechstunde sitzt und sagt: ‚Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr dahin zurück. Ich bin seit Monaten krank geschrieben und bei der Vorstellung, daß ich jetzt wieder zurück gehen muß an meinen alten Arbeitsplatz – der Gedanke alleine – da wird mit schon schlecht. Wenn ich darüber nachdenke, daß ich wieder in diese alte Situation, die mich ja krank gemacht hat, zurück gehen muß.‘ Die in Tränen ausbrechen und die natürlich Hilfe suchen. Wie komme ich heraus aus dieser Situation. Ich habe den Eindruck, daß es sich vermehrt. Und das ist dann natürlich eine Thematik, wo es um die Rechte der ArbeitnehmerInnen geht oder um die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen. Und als Gewerkschaft liegt es in der Natur der Dinge, daß wir natürlich das sammeln und aktiv werden müssen und schauen, ob wir da irgendetwas machen können.

 

Sprecher

Sagt Rebecca Peters von der belgischen Gewerkschaft Confédération des Syndicats Chrétiens CSC aus Verviers. Die CSC ist Mitveranstalterin des Seminar im September 2016 in Lissabon, Portugal.

Burnout 4.0 - präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungfür die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars.

Seelische Erkrankungen durch Arbeit ist in ganz Europa ein drängendes Problem. Belgien gibt es eine Gesetzgebung zu den psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz.

 

O-Ton Rebecca Peters

Ein Kapital davon dreht sich um das Burnout. Aber ich denke, daß die Sensibilität dafür gestiegen ist und das man dem Kind einen Namen gegeben hat. Und das man deswegen sagt: Ok ich weiß jetzt was es ist. Und sich dadurch eben auch die Zahlen erhöht haben. Wahrscheinlich gab es das vorher auch schon. Dann lief es eben unter Depression. Oder es lief unter Erschöpfungszustand. Und jetzt hat man das eben gesammelt unter einem Begriff.

 

Sprecher

Die psychosozialen Risiken sind also angestiegen. Woran liegt das?

 

O-Ton Rebecca Peters

Ich denke aber auch, daß die Arbeitswelt sich insofern verändert hat, daß es noch stressreicher geworden ist, noch mehr Präsenz verlangt wird. Für sich selbst vielleicht auch. Ist nicht doch eine email angekommen? Soll ich nicht doch noch darauf antworten? Anstatt sich selbst zu sagen: Ich warte jetzt bis morgen und das läuft nicht weg, man kann sowieso in den meisten Fällen nicht direkt etwas machen.

 

Sprecher

Die aktuelle belgische Gesetzgebung schreibt einen festgelegten Weg vor: Also es wird

jeder Einzelfall genau aufgezeichnet – wo sind die Risiken und sind die verantwortlich für eine seelische Erkrankung.

 

O-Ton Rebecca Peters

Es ist so, daß die Arbeitgeber in der Arbeitsordnung eine Prozedur einhalten müssen. Das haben die meisten, denke ich, auch gemacht, weil das auch kontrolliert wurde. Aber dann fehlt trotzdem noch die Anwendung und die konkrete Arbeit daran, wenn so ein Fall auftritt. Ok wie gehen wir jetzt damit um? Und gucken wir denn tatsächlich, ob das ein kollektives Problem oder ist es vielleicht nur ein individuelles. Und machen dann vielleicht individuelle Maßnahmen, wo vielleicht doch besser kollektive Maßnahmen geschehen müßten.

 

Sprecher

Arbeitsschutz und Vorbeugung vor berufsbedingten Erkrankungen gelten in Belgien oft als Vorbild für andere Staaten der Europäischen Union. Auch wenn natürlich nicht alles Gold ist was glänzt. Trotzdem werden immer wieder neue Modelle entwickelt, die die psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz erfassen und bewerten sollen.

 

O-Ton Rebecca Peters

Was ich gefunden habe bei meiner Recherche für den Vortrag, daß es schon eine Serie von Fragebögen gibt, die speziell für dieses Thema ausgearbeite wurden. Für die Arbeitsmediziner. Für die Menschen, die sich im Betrieb um die Vorbeugung kümmern. Für Psychologen, die normalerweise dann in dem Fall aufgerufen werden oder die dann in den Betrieb kommen können zusätzlich zur Arbeitsmedizin. Die das als Themenschwerpunkt haben. Also es gibt den Begriff Vertrauensperson im Betrieb, die eingesetzt werden muß oder sollte. Und diese Vertrauensperson, wenn es denn eine gibt im Betrieb, die innerbetrieblich auch arbeitet, die muß eine Schulung von mindestens fünf Tagen erhalten. Und das sind eben so kleine Schritte. Vorher wurde die Vertrauensperson eingesetzt und dann konnten die Leute hingehen und ihr Herz ausschütten. Ja, dann steht man da. Sie kriegen jetzt mehr konkrete Mittel in die Hand, um dann auch tatsächlich schon eine vorbeugende Arbeit oder eine beratende Aufgabe zu übernehmen in dem Fall.

 

 

Sprecher

Salutogenese, Gleichgewicht, Thalamus, Hypothalamus, Risikoerfassung, Prävention. Das sind nur einige Stichworte zu den hier gehörten Vorträgen. Unter anderem auch Gentests für die New Yorker Polizei. Die sind durch ihren Beruf besonders belastet und werden auch viel häufiger seelisch und körperlich krank. Diese Tests sollen herausfinden – ob bei einem Menschen seelische Erkrankungen und psychosoziale Risiken genetisch verankert sind. Eine wissenschaftliche Langzeituntersuchung soll seither die Gesundheit der dort arbeitenden Menschen erhalten oder verbessern. Und das eben auch mit allen aktuellen medizinischen Methoden. So etwas geht gar nicht – sagen die GewerkschafterInnen!

 

O-Ton Rebecca Peters

Ich sehe das auch eher kritisch. Weil ich denke, daß es sehr schwierig sein wird den Arbeitnehmer zu schützen. Was passiert mit diesen Daten? Wo geht das hin? Wie wird das tatsächlich vom Arbeitgeber genutzt? Kann das nicht ein Vorwand dafür sein zu sagen: Den nehme ich jetzt nicht mehr, da passt das Gesundheitsbild nicht. Und ich fand zum Beispiel interessant, was wohl auch eine Überlegung in der Medizin ist und was Dr. Bach auch gesagt hat: ‚Einen perfekten Gesundheitszustand gibt es nicht.‘ Und wie kann ich eben die Arbeit so organisieren, daß diejenigen, die eben das eine oder das andere Problem haben, trotzdem arbeiten können und teilnehmen können mit ihren jeweiligen Gebrechen – wenn ich das jetzt einmal so sagen darf. Er hat jetzt Behinderungen eher angesprochen. Ich glaube nicht, daß Arbeitgeber schon so weit sind, diese Denkweise mitzunehmen.

 

Sprecher

In diesem Seminar wird ja von Gleichgesicht zwischen Arbeits- und Privatleben gesprochen. Und? Sport? Gesundes Essen? Ruhepausen? Wie sieht es da bei einer Gewerkschafterin aus?

 

O-Ton Rebecca Peters

Ich kann ziemlich gut abschalten. Also wenn ich nach Hause gehe, dann ist Arbeit wirklich nur Arbeit und Privat ist Privat. Ich kann das ziemlich gut hinter mir lassen. Ausser wenn jetzt wirklich einmal etwas ganz Außergewöhnliches vorgefallen wäre, wo ich mich sehr geärgert habe. Dann bekommt mein Freund oder mein Partner schon einmal eine Dusche ab, weil ich das so nicht bei der Arbeit habe herauslassen können. Aber ich versuche auch mehr und mehr, wenn es tatsächlich etwas ist, das mich ärgert, das dann auch anzusprechen und nicht einfach zu schlucken. Es passiert auch schon, daß mir der Kragen platzt. Also dann sind meine KollegInnen ganz erstaunt und gucken mich ganz erschrocken an. Aber dann ist es wenigstens raus und dann kann ich ich das abhaken. Und ich merke auch für mich, aber dafür nehme ich mir tatsächlich zu wenig Zeit, was mir gut tut ist eben nach draußen zu gehen. Eine halbe Stunde spazieren in der Natur. Und dann komme ich zurück und merke: Jetzt bist du wieder geerdet. Das geht.


Interview António Matos Cristovão

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© Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus

 

Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit António Matos Cristovão

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

Sprecher

António Matos Cristovão ist Mitglied im Verwaltungsrat des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen EZA aus Bad Godesberg in Deutschland. Der gebürtige Portugiese eröffnet das Seminar im September 2016 in Lissabon mit einem Grußwort. Denn die EZA ist Mitveranstalterin.

Burnout 4.0 – präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungen für die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars. Und das so genannte Burnout – eigentlich keine Erkrankung – sondern ein Symptom für eine seelische Erkrankung – ist seit Jahren ein Brennpunkt. In der Arbeitswelt. In ganz Europa. Auch in der Medizin. Sozialstandards sind heute natürlich viel besser als vor fünfzig oder hundert Jahren. Der Arbeitsschutz müßte ja längst verwirklicht sein. Aber die Menschen stehen sehr unter Druck.

 

O-Ton António Matos Cristovão

Wie sie wissen, hat die EZA als Organisation eine sehr große Lobby im Europäischen Parlament. Und das ist der Grund, warum die EZA sowohl als Organisation als auch als Lobbyist alle ArbeitnehmerInnen in der Europäischen Union vertreten kann. Diese Lobby arbeitet vorwiegend mit der EVP-Fraktion im europäischen Parlament zusammen. Und es sind gerade die Abgeordneten, die an und für sich aus vielen Parteien kommen, die sich mit den Problemen der Arbeitnehmerschaft beschäftigen. Einige von ihnen sind in Gewerkschaften aktiv. Durch diese Abgeordneten ist es möglich eine Lobby zu haben. Und das Thema Burnout 4.0 in das Europäische Parlament zu bringen.

 

Sprecher

Und dann zitiert er den us-amerikanischen Dichter und Arzt Oliver Wendell Holmes. Der hat im neunzehnten Jahrhundert gelebt und galt bis in das 20. Jahrhundert hinein als einer der bedeutenste Dicher der USA. Literarische Zeitgenossen waren zum Beispiel James Russell Lowell oder Henry Wadsworth Longfellow. Als Hochschullehrer für Anatomie hatte er übrigens ein Stereoskop erfunden und prägte einen neuen Begriff: Anästhesie. Ein paar Gedanken zum Thema Gleichgewicht des Lebens.

 

O-Ton António Matos Cristovão

Das mache ich gerne. Diese Worte des großen Schriftstellers, Dichters aber auch Arztes aus den Vereinigten Staaten von Amerika sind wirklich sehr wichtig. Jetzt ein paar Gedanken von Oliver Holmes zum Thema Gleichgewicht des Lebens: Um das zu mögen was wir tun, müssen wir uns zu allen Gleichgewichten, die das berufliche Leben uns geben kann, bewegen. Unser Beruf kann uns sehr viel geben, ohne das wir Sklaven des Berufs werden. Das Wichtigste im Leben ist nicht die Lage, in der wir uns befinden, sondern die Richtung, in der wir uns bewegen‘.

 

Sprecher

Nun sind Sie ja in ihrer Arbeit bei der EZA an einer mitentscheidenen Position. Im Topmanagement sozusagen. Machen sich für bessere und gesündere Arbeitsbedingungen stark und reisen kreuz und quer durch die Europäische Union. Hier auf diesem Seminar sind zentrale Worte die Salutogenese und das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben. Wie bleiben Sie gesund und im Gleichgewicht? Wenn mir diese persönliche Frage gestattet ist.

 

O-Ton António Matos Cristovão

Es ist mir eine Freude auf ihre Frage zu antworten. Natürlich sind Gleichgewichte nicht immer sehr einfach zu erreichen. Aber zuerst habe ich meine Familie. Das ist ein sehr wichtiges Gleichgewicht. Dann gibt es einen zweiten Punkt. Das ist die Sozialisierung. Ich weiß, daß das nicht einfach ist. Ich weiß, daß man das heute überhaupt nicht mehr mag. Es ist nicht mehr modern. Aber ich mag es trotzdem. Und aus diesem Grund ist für mich das Wichtigste in meinen privaten und beruflichen Leben: Teilnehmen. Teilhaben. Organisieren. Dabei sein. Ein Teil sein von Konferenzen und Seminaren. Dadurch erreiche ich ein persönliches und auch ein berufliches Gleichgewicht. Denn dadurch kann ich meine Batterien wieder mit positiver Energie auffüllen.

 

 


Interview José Augusto Gómes Paixão

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© Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus

 

Sende-Manuskript 

Interview (Radiofeature) mit José Augusto Gómes Paixão

in Lissabon/Portugal September 2016

 

 

O-Ton José Augusto Gómes Paixão

Ich bin der nationale Koordinator der Gewerkschaft LOC/MTC. Das ist eine christliche Arbeiterbewegung in Portugal. Wir setzen uns für die Arbeiter ein. Das heißt wir möchten Arbeiter informieren, schulen. Aber auch den Arbeitern den christlichen Glauben näher bringen. Wir sind Christen und arbeiten daran, das Evangelium und den christlichen Glauben innerhalb der Arbeiterschaft, der Belegschaft zu verkünden. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, daß jeder das Anrecht darauf hat, einen würdevollen Arbeitsplatz zu haben.

 

Sprecher

Sagt der Portugiese José Augusto Gómes Paixão. Die LOC ist eine der ältesten christliche Arbeitnehmerorganisation Portugals. Und Mitveranstalterin dieses Seminars im September 2016 in Lissabon.

Burnout 4.0 – präventive Gesundheitsförderung als wichtige Anforderungen für die Arbeitswelt 2020! ist der Titel dieses Seminars.

Wie groß ist denn die Bedeutung des Themas Burnout in der Arbeitswelt für Portugal?

 

O-Ton José Augusto Gómes Paixão

In Portugal besteht das Problem, daß Arbeiter auf Grund von Stress krank werden. Und deshalb hat diese Thematik eine große Bedeutung für uns. Vor allem vor dem Hintergrund der großen Wirtschafts- und Sozialkrise, die wir in Portugal durchlebt haben und immer noch durchleben. Und vor allem wegen der Sparmaßnahmen der Regierung beziehungsweise der Troika in Portugal. Das hat natürlich das Leben der Arbeiter noch schwerer gemacht. Denn viele Arbeiter werden krank, weil sie arbeitslos werden. Weil sie natürlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten und ihre Familie somit nicht mehr versorgen können. Das ist eine große Sorge für uns. Diese psychologischen Probleme kommen einerseits durch den Stress, weil man keine Arbeit hat und andererseits aber auch durch prekäre Beschäftigung an sich. Das heißt also unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten. Und im Hintergrund droht immer die mögliche Arbeitslosigkeit. Dieser Stress führt oftmals zu Depressionen und zu schlimmen Gesundheitsproblemen.

 

 

Sprecher

Begriffe wie Globalisierung, Stress, Profit, Kapitalismus, Konkurrenz, Geld, Zins, Reichtum sind heute ja die Schlagworte unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.

Kollidiert das mit dem christlichen Menschenbild?

 

O-Ton José Augusto Gómes Paixão

Das ist tatsächlich so. Wenn wir uns die Grundlage des christlichen Glaubens anschlauen, die Schriften, das Evangelium und die soziale Doktrin der Kirche genauer anschauen und uns die Worte von Papst Franziskus anhören, zum Beispiel: daß die meisten Menschen auf der Welt nicht genug zum Leben haben‘, dann wissen wir, daß der Kapitalismus sich mit dem christlichen Glauben überhaupt nicht verträgt. Das vermittelt uns die Kirche. Wir Christen betrachten den Menschen als Menschen. Wir wollen, daß alle Arbeiter das Recht auf einen ausreichenden Verdienst haben, um würdevoll leben zu können. Aber leider ist das nicht so. Auf Grund der Wirtschaftskrise in Portugal leben viele Menschen in Armut. Zwanzig Prozent der Portugiesen leben unterhalb der Armutsgrenze. Es gibt überhaupt keine Gerechtigkeit. Und das ist nicht christlich, denn die Kirche setzt sich ja für die Gerechtigkeit ein. Für ein würdevolles Leben. Für die gerechte Umverteilung des Einkommens. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen die Familien. Und ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die LOC im Oktober ein Seminar haben wird mit der EZA und der Europäische Union zum Thema ‚Familie und die soziale Instabilität‘. Wir wissen ja alle, daß die Familien die großen Leidtragenden in dieser wirtschaftlichen Entwicklung sind. Wenn die Familie kein ausreichendes Einkommen hat, dann leiden die Kinder und ganze Generationen. Durch die hohe Arbeitslosigkeit der Jugend in Portugal müssen die Großeltern die Enkelkinder aber auch ihre die Kinder unterstützen. Es ist also ein generationsübergreifendes Problem. Viele junge Portugiesen müssen heute auswandern. Die zweite Konsequenz ist, daß sich viele junge Portugiesen nicht mehr leisten können eine eigene Familie zu gründen. Die Armut, die Arbeitslosigkeit und die prekäre Arbeit setzen der portugiesischen Gesellschaft sehr zu.

 

Sprecher

Hier auf diesem Seminar sind zentrale Worte die Salutogenese und das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben. Wie bleiben Sie gesund und im Gleichgewicht?

 

O-Ton José Augusto Gómes Paixão

Ja ich muss direkt sagen: Ich bin bereits Rentner. Also ich bin nicht beschäftigt bei der LOC. Das Amt, das ich habe, ist ein Ehrenamt. Also ich habe keinen Job, sondern eine Funktion. Ich führe diese Funktion aus, weil ich einen Beitrag zur christlichen Arbeitnehmerbewegung leisten möchte. Ich habe dort schon als sehr junger Mensch angefangen. Ich war in der JOC. Das ist die junge, christliche Organisation von Portugal.

Mein offizielles Arbeitsleben habe ich so zusagen hinter mir. Ich habe vierzig Jahre gearbeitet und ich habe mich immer sozial engagiert. Ich war selbst vierzehn Jahre Gewerkschafter in einer führenden Funktion. Ich war auch im nationalen Dachverband der Verbrauchergenossenschaft in einer Funktion. Wie dem auch sein. Jetzt mache ich eine ehrenamtliche Tätigkeit. Meine erste Amtszeit betrug drei Jahre. Im Juni wurde ich für eine weitere Amtszeit für drei Jahre gewählt. Um auf ihre Frage zurück zu kommen. Es geht nicht ohne die Familie. Ohne die Unterstützung meiner Frau wäre diese Arbeit überhaupt nicht möglich. Wir haben selbst keine eigenen Kinder. Man mag vielleicht denken, daß das alles einfacher macht. Ganz im Gegenteil. Denn meine Frau bleibt oftmals allein zu Hause, während ich unterwegs bin. Aber man muß immer zusehen, alles miteinander zu vereinbaren. Zum Abschluß möchte ich noch sagen, daß wir zwar keine eigenen Kinder haben. Aber wir haben sieben Nichten und Neffen. Die waren oft länger bei uns zu Hause. Die haben wir mit groß gezogen. Das hat natürlich unseren Erfahrungsschatz sehr erweitert. Vor allem zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

 


 

 

Fotos: Axel Gauster © 2020 Nell-Breuning-Haus / Axel Gauster