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Synopsis

 

"Wanderarbeit in Europa – eine besondere Herausforderung für

menschenwürdige Arbeit in ausgewählten Branchen"

Europäische Konferenz 11.-14. März 2019, Nell-Breuning-Haus, Herzogenrath/Deutschland

 

 

 

Der Anteil an WanderarbeiterInnen innerhalb der Beschäftigungsstrukturen in Europa nimmt beständig zu. Mittlerweile ist Wanderarbeit ein wichtiger Bestandteil in der Landwirtschaft und in der Pflegelandschaft in Westeuropa. Die fleischverarbeitende Industrie in Deutschland macht negative Schlagzeilen. Nicht nur dort werden die Arbeitsbedingungen als „moderne Sklaverei“ bezeichnet. Unabhängig von Branche und Entsendenation sind häufig die Arbeitsbedingungen schlecht bis katastrophal. Das Menschenrechtsinstitut hat die Situation von Migranten*innen von Mitte 2017 bis Mitte 2018 untersucht und spricht offen von Ausbeutung und äußerst prekären Lebensumständen.

Es gibt bereits einige Initiativen in Europa, die sich dem Thema widmen. Exemplarisch stellen sich in dieser Konferenz einige Initiativen vor, vernetzen sich und führen einen Dialog auch mit den Gewerkschaften und Initiativen in den Entsendeländern.

 

In der Konferenz in Herzogenrath sammeln 25 TeilnehmerInnen aus Ukraine, Litauen, Estland, Deutschland, Portugal, Spanien, Bulgarien Informationen zum Status quo der Wanderarbeit in der Europäischen Union. Die eingeladenen Initiativen stellen ihre Arbeit zum Thema vor, tauschen ihre Erfahrungen aus und erarbeiten den Dialog mit weiteren Initiativen und Gewerkschaften in den Entsendeländern.

Die TeilnehmerInnen kommen aus Gewerkschaften und katholischen Einrichtungen der ArbeitnehmerInnenbewegung.

 

Die wichtigsten Aspekte

Die so genannte Arbeitsemigration aus den Osteuropäischen EU-Ländern wie Bulgarien, Polen und Rumänien. Die teilweise kriminellen Anwerbeagenturen, die die Menschen mit falschen Versprechungen nach Deutschland und andere westliche EU-Länder anwerben.

Die fehlenden Informationen der Arbeitsemigranten über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Verhältnisse in den Zielländern der Arbeitsaufnahme.

Das fehlende Interesse der nationalen und europäischen Politik – weil es ja EU-Bürger sind, die in der ganzen EU frei ihren Arbeitsplatz wählen können. Legale, illegale Wanderarbeit. Fehlende oder schlechte Kontrolle der Arbeitsplätze auf Missbrauch durch die Arbeitgeber.

 

Gerade jetzt ist dieses Seminar von Wichtigkeit

Zur Zeit gibt es in Deutschland zirka 3 Million Arbeitsemigranten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in sozialversicherungspflichtigen oder in illegalen Beschäftigungsverhältnissen stehen.

Das Thema ist weder in der Öffentlichkeit noch in der nationalen und europäischen Politik von Bedeutung. Und so lange in der östlichen EU die Einkommens-, Arbeits- und -wirtschaftsverhältnisse wesentlich schlechter sind als in der westlichen EU, wird es weiterhin Arbeitsemigranten geben, die in so genannte „moderne Arbeits- und Lohnsklaverei“ leben müssen. Alle EU-Bürger haben aber die freie Arbeitsplatzwahl in der EU und die gleichen Rechte – auch Menschenrechte und Würde. Es ist wichtig, das Thema stärker öffentlich zu machen, um diese „moderne Sklaverei“ einzudämmen oder zu verhindern.

 

Diskutierte Themenfelder

Am Beispiel der Fleischindustrie in Deutschland wurden die menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse dargestellt.

Die Branchen Bauindustrie, im privaten Pflegebereich, Landwirtschaft, Dienstleitungsbereich in der Gastronomie, in Nobelhotels spielten ebenfalls eine große Rolle.

In den so genannten „Live ins“ werden Wanderarbeiter*innen betreut.

 

Prälat Peter KossPrälat Peter Kossen 2019en (Bistum Münster) erzählt von der so genannten deutschen ‚Fleischmafia‘. Es herrschen mafiöse Strukturen im Umgang mit osteuropäischen Arbeitsmigranten*innen. Mit ihrer Arbeitskraft werden Millionen Euro für Vermittlung und Ausbeutung verdient. Sie verdienen weit unter dem deutschen Mindestlohn, haben abrissreife Unterkünfte, haben keinen Anspruch auf Betreuung im Krankheitsfall und können sich über ihre Rechte nicht informieren, weil sie die Sprache nicht beherrschen und Angst haben. Sie werden benutzt, verbraucht, verschlissen und entlassen, wenn sie keine Leistung mehr bringen.

 

Dr. Hildegard Hagemann von Justitia et Pax aus Berlin bezieht gemeinsam mit dem DGB Stellung zur Europäischen Mobilitätspolitik. Sie berichtet, das die sozialen Auswirkungen von Wanderarbeit/Arbeitsmigration europaweit noch nicht hinreichend erforscht sind. Zirka 50 % aller Arbeitsverhältnisse weltweit sind informell. Mobilität ist ein Schlüsselwort in der globalen Arbeitswelt. In der Landwirtschaft, den haushaltsnahen Dienstleistungen und in der Nahrungsmittelindustrie werden Wanderarbeiter*innen eingesetzt, damit die Produktions- und DienstleistungDr. Hildegard Hagemann 2019skosten niedrig bleiben. Insgesamt liegt die Arbeitsmigration in Deutschland bei 3,5 Millionen bei steigender Tendenz.

Die Europäische Union tut sich sehr schwer mit der Arbeitsmigration. Es gibt zwar Richtlinien, wie die EU-Hausangestelltenkonvention, das Stockholmer Programm oder der UN-Wanderarbeiterkonvention. Diese werden aber von vielen Staaten nicht ratifiziert. Gleichzeitig gibt es den mangelhaften Schutz von Wanderarbeiter*innen, ihren Familien und fehlende Sensibilität für die Auswirkungen verstärkter Arbeitsmigration auf die Herkunftsländer.

 

Länderberichte

Vesselin Mitov (Podkrepa, Bulgarien) berichtet, das zirka 2 Millionen Menschen aus Bulgarien unter schlechten Bedingungen in den westlichen EU-Ländern arbeiten, weil der Durchschnittslohn in Bulgarien bei zirka Euro 300 liegt. Bulgarien hat zirka 9 Million Einwohner und immer mehr Menschen wollen das Land verlassen. Qualifizierte Arbeitskräfte und know how gehen verloren. Die Situation ist in Bulgarien schlecht. Staat und Wirtschaft werden schlecht gemanagt, kulturelle, bildungsmäßige und gesellschaftlichen Verhältnisse sind unterdurchschnittlich.

 

Eero Mikenberg (ETÖK, Estland) berichtet, das dort die Arbeitsemigration eher positiv gesehen wird. Die Menschen arbeiten zum Beispiel in Finnland – weil dort die Einkommen viel höher sind und die Arbeitsbedingungen stimmen. In Finnland gibt es keinen Niedriglohnsektor. Finnland braucht in den nächsten 5 Jahren zirka 20000 Arbeitsmigranten*innen. In Estland selbst steigen allerdings die Löhne seit einiger Zeit an. Von Euro 1000 im Jahre 2016 auf Euro 1400 im Jahre 2018 im Durchschnitt. Inflationsrate sinkt (z. Zt. 4 %) und es gibt seit einiger Zeit Wirtschaftswachstum. Estländer*innen kommen wieder in ihr Land zurück.

 

Erfahrungsberichte; beispielhafte Initiativen, die sich mit Wanderarbeit befassen und Konsequenzen für die tägliche Arbeit

Schwester Svitlana Matsiuk, Steyler Missionschwester (SSpS) und Betriebsseelsorger Johannes vom Bistum Aachen Eschweiler berichten von ihrer Unterstützung und Begleitung von Wanderarbeiter*innen in den so genannten ‚Live ins‘ Heinsberg und Umgebung. Die Arbeitsmigranten kommen hauptsächlich aus Bulgarien, Polen, Ukraine. Sie arbeiten vorwiegend in privaten Haushalten als Pflegekraft, in der Landwirtschaft und im Bauwesen. Es gibt keine richtigen Arbeitsverträge, keine vernünftige Kommunikation. Kontaktaufnahme zu Wanderarbeitnehmer*innen. Aufbau von Gesprächskreisen mit Begegnung und Austausch. Seelsorgliche, persönliche Begleitung. Vermittlung von Unterstützung bei arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. Öffentlichkeitsarbeit, politische Arbeit, Sprachkurse.

Rosi Becker und Heinz Backes stellen Das Selbsthilfenetzwerk „Respekt“ des Bistum Aachen und der Katholischen Arbeitnehmerbewegung KAB Aachen vor. Das Netzwerk organisiert seit 2017 zirka 80 osteuropäische Betreuungskräfte. Sie kommen miteinander in Kontakt und besuchen Deutschkurse, um ihre Kommunikation in Deutschland zu verbessern. Die Wanderarbeiter*innen haben oftmals keine Ausbildung. Sie werden zum Beispiel im Bereich Pflege geschult.

Maria Reina MartJustyna Oblacewicz 2019in stellt die Internationale Plattform der Mitarbeit und Migration IPCM aus Madrid vor. Sie verfolgt als Hauptziel, die Förderung von solidarischen Aktionen hinsichtlich der internationalen Entwicklungs- und Migrationszusammenarbeit. Sie trägt dazu bei, Hunger, Armut, Krankheit und Analphabetentum abzuschaffen.

Catalina Guia stellt Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e.V. Düsseldorf vor. Der Verein berät und unterstützt von Arbeitnehmer*innen aus Ost- und Mitteleuropa in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. Hilft beim Aufbau eines Netzwerks von Strukturen zur Information, Beratung und Begleitung und bietet Hilfe bei der Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen. Der Wissenstransfer mit Gewerkschaften und Bevölkerung ist obligatorisch.

Justyna Oblacewicz stellt „Fair Mobility" des DGB Berlin vor. Sie betreut Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen Ländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie hilft bei der Durchsetzung gerechter Löhne und fairer Arbeitsbedingungen. Das Projekt arbeitet mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund und den interregionalen Gewerkschaftsräten zusammen.

 

Die wichtigsten Ergebnisse / Erkenntnisse

Arbeitsmigration geschieht vor allem aus Armutsgründen. Gravierende Folgen: Kinder wachsen teilweise ohne Eltern auf (so genannte Euro-Weisen). Familien werden zerstört. Arbeitskräfte und Know how wandern ab - wirtschaftliche, kulturelle, gesellschaftliche Entwicklung in den Heimatländern wird schlechter. „Moderne Sklaverei“ ist auch eine Folge des neoliberalen Kapitalismus. Gleiche Lebens- und Arbeitsverhältnisse in allen EU-Ländern verhindert Wanderarbeit und Lohnsklaverei. Das Thema wird in der Öffentlichkeit und Politik nicht wahrgenommen. Gewerkschaften und kirchliche Organisationen sind ‚zu lieb‘.

In Deutschland ist Wanderarbeit gleichbedeutend mit Schwarzarbeit. Es bestehen prekären Arbeitsverträgen oder Scheinselbstständigkeit. Zu den Branchen gehören Fleischindustrie, Schlachthöfen, Nobelhotels, Bauwirtschaft, Privathaushalte zur Betreuung und Pflege alter und kranker Menschen und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Die Wanderarbeiter*innen arbeiten oftmals rund um die Uhr, können ihre Rechte nicht einfordern, erhalten ihre Überstunden nicht bezahlt, so dass der Stundenlohn oftmals erheblich unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt.

 

Die wichtigsten Forderungen

Gewerkschaften müssen sich modernisieren, um Menschen zu erreichen. Neue Kommunikationsformen müssen her, z.B. Webplattformen, um die Kommunikation mit den

Wanderarbeiter*innen zu verbessern. Zusammenarbeit auch mit Nicht-Regierungs-Organisationen ist wichtig. Die Menschen durch Betreuung stark machen, damit sie ihre Rechte gemeinsam einfordern. Ein Projekt ‚Ziviler Ungehorsam‘ etablieren. Katholische Kirche muss sich diesem Problem stellen – intern und nach Außen. Kontrollbehörden – wie der Zoll – müssen nachhaltiger Arbeitsplätze kontrollieren. Auch kriminelle Unternehmen müssen bestraft werden. Nationale und europäische Politik muss mit gemeinsamen, öffentlichen Kampagnen auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Die vielen kleinen und größeren Projekte und regionalen Beratungsstellen zum Thema besser finanziell und logistisch unterstützen.

 

Beschluss

Die Veranstalter haben gemeinsam mit den Teilnehmenden dieser Konferenz beschlossen, dass es aufgrund der vielen regionalen und internationalen Projekte und Beratungsstellen aus den Gewerkschaften, der Kirche und freier Organisationen sinnvoll ist, bei der Europäischen Kommission (im Rahmen der Erasmus-Programmlinie) ein Projekt „Unterstützung und Aufbau von Netzwerken und Stärkung von Kapazitäten für transnationale Arbeit sowie die Förderung von Ideen, Methoden und Praktiken“ zu beantragen, um die hier vorgestellten und viele weitere Initiativen miteinander besser zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen, Zusammenarbeit zu fördern, Arbeitsmethoden für den Arbeitsalltag zu entwickeln und die Ergebnisse der Öffentlichkeit aus Gesellschaft und Politik publiziert vorzustellen.

 

 

Bildnachweis (von oben nach unten):

Prälat Peter Kossen

Dr. Hildegard Hagemann

Justyna Oblacewicz

 

Text und Fotos von Axel Gauster. © 2019 Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus