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© Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus

 

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Synopsis

 

Mit der Genderperspektive die Gesundheit in der Arbeitswelt verbessern!

 

Eine europäische Konferenz vom 12.-14. Oktober 2015 in Ohrid, Mazedonien

 

 

Belastungen und Erkrankungen

in den Betrieben haben zugenommen, das Thema ist stärker in der Öffentlichkeit. Unternehmen und Verwaltungen beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema. Gesundheitsmanagement ist mittlerweile ein betrieblicher Standard. Allerdings ist Geschlechtergerechtigkeit, der Gender-Ansatz, eine noch recht ungewohnte Herausforderung für den Bereich „gesunde Arbeit“ sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz. Doch Untersuchungen und die Erfahrung lehren: Von Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes profitieren nicht beide Geschlechter automatisch gleich, deshalb besteht dringender Handlungsbedarf. Zum Beispiel trägt eine geschlechtersensible Haltung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement zu einem besseren Erfolg des Verfahrens bei. Slobodan Antovski 2015

 

Aus diesem Grund haben sich in Ohrid 30 TeilnehmerInnen und 9 ReferentInnen aus Deutschland, Belgien, Niederlande, Österreich, Slowenien, Mazedonien, Litauen, Portugal, Ungarn zusammengefunden, um die Genderperspektive aus verschiedenen Blickwinkeln kennen zu lernen. Vorrangiges Ziel dabei ist es, eine Handlungsempfehlung für den sozialen Dialog in Europa zu entwickeln, die in erster Linie dazu dienen soll, dass bei gesundheitsfördernden Maßnahmen alle Berufsgruppen, Bereiche und Geschlechter adäquat angesprochen und berücksichtigt werden.

Die TeilnehmerInnen kamen alle aus Gewerkschaften, Arbeitnehmerorganisationen, Bildungseinrichtungen der Arbeitnehmerbewegung und aus dem Umfeld der katholischen Betriebsseelsorge.

 

 

 

 

 

Hauptreferent Michael Gümbel

(Koordinator des Netzwerks „Gender in Arbeit und Gesundheit“. Berater bei Sujet GbR Organisationsberatung, Hamburg) mit einer Beschreibung des Status quo:

Geschlechtergerechtigkeit bedeutet, dass bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen, für das sich international der Begriff "Gender Mainstreaming" etabliert hat, basiert auf der Erkenntnis, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt, und Männer und Frauen in sehr unterschiedlicher Weise von politischen und administrativen Entscheidungen betroffen sein können.

Ein wichtiger Durchbruch im Vertrag von Amsterdam 1997 erklärt die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern zu einer der grundlegenden Aufgaben der EU. Er verpflichtete die Mitgliedstaaten Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Handlungsfeldern zu fördern. Schließlich führte er einen neuen Artikel ein, mit dem die EU die Befugnis erhielt, gegen alle Formen von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – neben einer Reihe anderer Gründe – vorzugehen.

Seit der Verabschiedung des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 ist die Verpflichtung der EU zu "Gender Mainstreaming" in Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgeschrieben. Michael Gümbel 2015

Eine weitere EU-Rahmenrichtlinie aus dem Jahre 1989 verpflichtet die Arbeitgeber prinzipiell, für alle Arbeitsschutzmaßnahmen zu sorgen.

Damit ist der EU-rechtliche Rahmen gesetzt.

 

In der von Michael Gümbel durchgeführten Studie „Geschlechterrollen und psychische Belastungen in der Arbeitswelt“ (Gemeinsam mit Hans Böckler Stiftung und Ver.di 2007-2009) werden die zentralen Punkte sichtbar.

Michael Gümbel macht auf die vielfältigen Zusammenhänge von Arbeit und Geschlecht aufmerksam: Biologische, soziale und psychische Faktoren sind genannt. Gleichzeitig gibt es die Ebenen und Dimensionen von Geschlecht: Gesellschafts-, Organisations-, Individualebene sind genannt und haben Einfluss aufeinander. Gender in Arbeit und Gesundheit wird ebenfalls durch

mehrere Faktoren beeinflusst: Unterschiedliche Arbeits- und Lebenswelten, Umgang mit Gesundheit und Belastung, Biologische Aspekte wie z.B. Schwangerschaft oder Wechseljahre spielen eine Rolle.

 

Stereotypen und Rollenbilder werden unterschiedlich bewertet und zugeschrieben. Antonio Brandao Guedes 2015

Dieser grundlegende Punkt bezieht sich auf die Wirkungsweise von Stereotypen. „Wenn Frau und Mann das gleiche tuen – heißt das noch lange nicht – dass sie sich auch identisch sehen“. Die Beurteilung des jeweils Anderen ist abhängig von der Wahrnehmung – der eigenen (wie sehe ich mich) und die des Anderen (was nehme ich wahr).

 

Fazit 1: Festgefügte Geschlechterrollen bestimmen heute das berufliche und gesellschaftliche Bild. Die Menschen bewerten den Arbeits- und Gesundheitsschutz daher nicht objektiv.

 

Fazit 2: Geschlechterrollen, Selbst- und Fremdwahrnehmung sind nicht überwiegend biologisch begründet, sondern sind gesellschaftlich, sozial und kulturell bedingt (Kernaussage).

Das heißt: Es ist eine Sache der Erziehung. Zum Beispiel: Warum soll ein fünfjähriger Junge nicht mit Puppen spielen und die Farbe Rot mögen? Und warum soll ein fünfjähriges Mädchen nicht mit der elektrischen Eisenbahn spielen – die dazu noch blau bemalt ist? Wäre dies kulturell akzeptiert – gäbe es auch eine ganz andere Beurteilung der Geschlechter und ihren Bedürfnissen für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.

  Dr. Goce Mladenovski 2015

Fazit 3:

Frauen haben in gleichen Berufen größere gesundheitliche Probleme als Männer. Die Frauen wissen das auch – aber verschweigen das, weil sie sich anderenfalls benachteiligt fühlen, ihren Job verlieren oder keine Karriere mehr machen können. Weil sie eben der Meinung sind - „Frauen müssten mehr leisten“ als Männer – um anerkannt zu sein. Oder weil diese Belastungen eben zu ihren Job gehören. Ein falsches Rollenbild von sich selbst und eine falsche Beurteilung des männlichen Kollegen. Die wiederum haben eine „Helden“-Wahrnehmung von sich selbst – und bewerten Frauen aus dieser Position heraus.

 

Fazit 4: Frauen und Männer sind zur Zeit VerliererInnen der Geschlechterverhältnisse (Kernaussage). Denn die Unternehmen nutzen die Verwirrung um den Begriff Gender geschickt zur Verbesserung ihrer Umsatzzahlen.

 

Fazit 5: Das bestimmt auch den Sinn der Arbeit. Männern wird zugeschrieben: Hauptverdiener, Job ist Lebensmittelpunkt. Frauen wird zugeschrieben: Dazuverdienerin, Job als Abwechslung. Kompetenzen sind geschlechtlich notiert: z.B. Durchsetzungsfähigkeit, Technikaffinität gilt als männlich, Freundlichkeit, Mode gilt als weiblich. Männliche Kompetenzen gelten in der Regel als höherwertig und werden als größere Anforderung gesehen.

Folge: Höhere Anforderung an Belastbarkeit, höhere Kompetenzforderung an Männer, Schwächen bei Männer sind nicht erlaubt. Andererseits Abwertung von Frauen, bewusstes Stellen von nicht erfüllbaren Anforderungen – um Schwächen aufzuzeigen „Wen das stresst – der ist hier falsch“.

 

Fazit 6: Die so genannten Selbstverständlichkeiten in einem Job/Branche werden nicht als Belastung wahrgenommen (z.B. Freundlichkeit der Verkäuferin oder die Selbstsicherheit eines Finanzbeamten).

 

Fazit 7: Belastungen werden im Betrieb nicht besprochen, weil sie tabu sind: Belastung durch Attraktivitätsanforderung, sozialer Druck im Frauenteam, Ängste und Unsicherheit bei den Männern. Helga Jungheim 2015

 

Das Thema Gender Mainstreaming

ist relativ neu – wenn auch in der Öffentlichkeit immer bekannter. Es fehlen jedoch Forschungsprojekte, Analysemethoden und Handlungsfelder. Wesentliche Belastungen und Ressourcen werden normalerweise von Experten und Beschäftigen nicht wahrgenommen und unterschätzt.

 

Handlungsoption: Daher ist es in einem Unternehmen wichtig – dass die Beschäftigen und Experten mutig und ohne Vorbehalte einfach mit einer betrieblichen Analyse zum Thema Gender beginnen. Und das betrifft auch Gender in der Gefährdungsbeurteilung selbst.

Maßnahmen: Stereotypen reflektieren, Genderkompetenzen festlegen, Informationen und Beteiligung aller Beschäftigen gewährleisten, Analysemethoden entwickeln, geschlechtersensibel evaluieren.

Neue Fragen sind zu stellen: Was ist individuell und was nicht? Auf welche Weise stellt die Organisation die bestehenden gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätze mit her? Wie ist die Selbst- und Fremdwahrnehmung?

 

Letztendlich ist es eine zentrale Aufgabe – die falschen Wahrnehmungen zu durchbrechen. Das schafft ein geschlechtergerechtes „Bild“ vom Menschen und ist auch eine kulturelle Aufgabe.

 

Prof. Dr. Michael Bach (Pro-Mente APR Salzburg) spricht in seinem Referat „Gesundheitsverhalten – Genderperspektive“ über die Schwierigkeit, objektive Messverfahren zu finden, die beschreiben, was weibliches und männliches Gesundheitsverhalten (health behavior) ist und wo die Gender-Unterschiede sind.

 

Die Querschnitterhebungen

zeigen nur eine Momentaufnahme, Die Prozessqualitäten geben nur Stimmungsbilder wieder aber keine wirklichen Ergebnisse, die Validität der Messverfahren sind schlecht: Allerdings gibt es seit gut zehn Jahren zahlreiche Forschungen zum Thema Gender und Schmerz. Und die Ergebnisse nennen vor allem Enzyme, Moleküle und Gehirnrezeptoren, die für eine unterschiedliche Schmerzverarbeitung bei Frauen und Männer verantwortlich sind.

Imre Palkovics 2015Aber keine Untersuchung kann wirklich sagen – warum Frauen mehr Schmerzen haben als Männer. Zum Beispiel leiden 1,5 x mehr Frauen als Männer an Kopf-, Rücken- und Knieschmerzen, bei Migräne sind es sogar 2,5 x zu viel Frauen als Männer.

 

Das spiegelt sich auch bei den Depressionen wieder. Frauen leiden häufiger an Depressionen als Männer. Und hier trifft es vor allem Hausfrauen, Mütter, Alleinerziehende und Frauen, die kranke Angehörige pflegen. Die soziale/menschliche Unterstützung fehlt. Eine Depression bei Männer hat in der Regel andere Ursachen: Arbeitslosigkeit, berufliche Krisen, Rentenschock. Natürlich spielen geschlechtsunterschiedliche chronische Erkrankungen auch eine Rolle.

 

Es ist auch klar geworden, dass sich die gesund erhaltenden Maßnahmen – die so genannte Salutogenese – immer noch nicht gesellschaftlich greifen. Falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinkonsum, keine aktive, eigenständige, positive Lebensführung sind nach wie vor verantwortlich für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Übergewicht und Depression. Die Ursachen liegen in der Arbeitswelt und im Privatleben. Es ist eine Mischung – die sich gegenseitig verstärken kann.

 

Ein bedeutendes Postulat für Gender-Unterschiede ist das so genannte Stress-Coping.

Frauen gehen mit Stress anders um als Männer. Frauen sind eher nach Außen orientiert, vertrauen sich anderen Menschen an und besprechen sich häufiger: Das so genannte „tend and befriend“. Männer gehen eher in den Kampf, in die Auseinandersetzung, sind konfliktfreudiger oder ziehen sich zurück – flüchten sich in Alkohol, Spielsucht, Pornografie. Das so genannte „fight or flight“.

 

Fazit: Es gibt keinen genetischen Geschlechterunterschied bezüglich Schmerzen. Schmerzen bei Frauen und Männern sind soziokulturell begründet. Prof. Dr. Aleksandar Ristovski

Es stellen sich bei der Wahrnehmung von Gender auch die Fragen: Sind Frauen wirklich Frauen? Sind Männer wirklich Männer? Und was ist mit Transgender?

 

Der Casus knacksus

ist die soziokulturelle Prägung eines Menschen und die Erziehung. Die beginnt nicht erst in der Schule. Geschlechtergerechtigkeit ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Im betrieblichen Gesundheitsmanagement ist daher die Haltung zum Thema Gender wichtig – nicht nur das Verhalten.

 

Dr. Goce Mladenovski (PZU Poliklinika Medika Skopje) weist auf die sehr angespannte Gesundheitssituationen in der mazedonischen Textil- und Schuhindustrie. Dort arbeiten vor allem Frauen in Doppelschichten an schlecht ausgestatteten Arbeitsplätzen, die vor allem im Hals- und Wirbelsäulenbereich und in den Handgelenken starke Schmerzen bewirken. Dies wiederum fördert psychische Erkrankungen wie z.B. Depression bei diesen Frauen.

 

Und auch der Gesundheitszustand in den medizinischen Berufen im mazedonischen Gesundheitswesen ist schlecht. In einer Untersuchung in 70 % aller mazedonischen Krankenhäuser wurde festgestellt, dass vor allem in der Chirurgie, Frauenheilkunde und denpsychiatrischen Kliniken die Arbeitsplätze mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind. Hoher Blutdruck, Herz-Kreislauferkrankungen, Magen- und Darmprobleme, Diabetes, Depression sind gehäuft anzutreffen. Arbeits- und Entscheidungsdruck, Überstunden, schlechte Bezahlung, fehlendes medizinisches Gerät, Angst vor falschen Diagnosen und den rechtlichen Folgen, mangelnde Kommunikation der KollegInnen untereinander und mit Menschen außerhalb des Berufes etc. sind Auslöser dieser Erkrankungen.

Ludger Bentlage 2015Vor allem in den psychiatrischen Einrichtungen haben die beschriebenen Risiken am Arbeitsplatz besondere Auswirkungen. Oftmals übernehmen die dort arbeitenden Menschen psychische Krankheitsbilder ihrer Patienten. Aber erst dann, wenn sie eine Klinik verlassen haben. Sie hospitalisieren sich quasi selbst.

 

Insgesamt sind mehr Frauen als Männer von diesen Krankheitsbildern betroffen. Und zwar auch dann – wenn sie die gleiche Arbeit und Verantwortung haben – wie ihre männlichen Kollegen. Zusätzlich haben viele Frauen weitere Verantwortungen im privaten Alltag: Kindererziehung, Haushalt und/oder alleinerziehende Mutter.

In Mazedonien sind die Rollenstereotypen im Bereich Gesunde Arbeit stark ausgeprägt und weit von der Geschlechtergerechtigkeit entfernt. Die Rollen entsprechen dem klassischen Bild des westeuropäischen Rollenverständnisses von vor 50 Jahren.

 

Fazit: Vor allem in der Textil- und Schuhindustrie und dem Gesundheitswesen Mazedoniens sind die Frauen erheblichen gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz ausgesetzt.

 

Prof. Dr. Alexander Ristovski (Universität Skopje) betont, wie wichtig es für Mazedonien ist, die Arbeitszeit zu verkürzen. In der EU arbeiteten im Jahre 2013 19,5 Prozent aller Beschäftigen in Teilzeitjobs. 75 % davon waren sind Frauen. In Mazedonien arbeiten nur 5,3 % aller Beschäftigen in Teilzeit. 38,8 % davon sind Frauen. Das sei ein sehr niedriger Anteil.

Die klassische Rollenverteilung benachteiligt die berufstätigen Frauen und führt zu den unterschiedlichsten Erkrankungen.

Fazit: Mehr Teilzeitjobs erhöhen die Gesundheit für Frauen und Männer am Arbeitsplatz.

Voraussetzung sind gute Arbeitsplätze. Die mazedonische Wirtschaft muss daher mehr Teilzeitjobs und flexible Arbeitszeiten anbieten. Die Gewerkschaften müssten in ihren Verträgen die tariflichen Bedingungen dafür schaffen.

Dazu muss es in Mazedonien ein höheres Wirtschaftswachstum geben.

Außerdem darf keine Diskriminierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitjobs stattfinden. Milan Petkovski 2015

Männer sollten stärker in Elternurlaub gehen, um die Rollenverteilung in der Familie gerechter zu machen.

 

Rebecca Peters (Gewerkschaft CSC Ostbelgien) berichtete über einen Fragebogen belgischer Arbeitsorganisationen und der Universität Brüssel zum Thema Gender und Rollenstereotypen. Überschrift: Jede bezahlte Arbeit ist beschwerlich, wenn sie kurz- und mittelfristig einen psychischen oder physischen Schaden hervorruft. Dabei wurde festgelegt, das z.B. dass Heben von 25 kg einen Schaden hervorruft oder aber das Heben vieler kleiner Lasten. Psychische Lasten sind auch festgelegt worden. Z.B. sich wiederholende Gesten, Arbeitsrhythmus, Arbeitsumgebung etc.

 

Ergebnis: Frauen sagen, dass frauentypische Berufe psychisch und physisch als weniger belastend empfunden werden – obwohl mehr gearbeitet wird und die Belastung höher ist. Außerdem hätten sie ja gewusst – wie hoch die Belastung sein kann. Das sei eben so. Sie sagen auch, das männertypische Berufe wie z.B. Bauarbeiter auf jeden Fall belastender sind als frauentypische Berufe.

 

Ludger Bentlage (Gewerkschaft NGG-Region Aachen) erklärt, dass die Frauen in Deutschland 23 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und zwar in den gleichen Berufen.

 

Eine Ursache

für diesen Unterschied ist die hohe Identifikation der Frauen mit ihrem Betrieb. Daher nehmen sie arbeitsplatzbedingte Krankheiten in Kauf.

Zwar gibt es ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichtes 1988 schreibt zwar Gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Aber die Realität sieht in Deutschland anders aus.

Frauen arbeiten vor allem in den frauentypischen Berufen und oftmals in Teilzeit und unterbrechen ihre Tätigkeit öfter und länger als Männer. Die Rollenbilder sind hier nach wie vor starr.

Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung entspricht der hierarchischen Arbeitsteilung.

Das deutsche Tarifsystem ist nicht geschlechtsneutral, weil in der Arbeitsbewertung Diskriminierungspotenial liegt. So kann z.B. eine betriebliche Eingruppierung kann geschlechtsspezifische Unterschiede verstärken.

Fazit: Mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen im Tarifvertrag abbauen.

Norbert Klein 2015Gefährdungsanalyse verbindlich in die Tarifverträge aufnehmen (EU Richtlinie).

Eingruppierungsmerkmale für ArbeitnehmerInnen transparent, nachvollziehbar machen.f

Kriterien wie soziale Kompetenz einbeziehen. Merkmale wie „Verantwortung“ nicht nur für Sachwerte, sondern auch für Menschen.

Tätigkeitsbeispiele gendern und zu jedem typisch männlichen Beispiel ein typisch

weibliches hinzufügen (oder umgekehrt).

 

Imre Palkovics (Gewerkschaft MOSZ Ungarn) betont, dass alle

Menschen in der EU gleich behandelt werden müssen. Nationale und internationale Arbeitsgesetze gibt es sehr viele. Aber überall gibt es auch das gleiche Problem: Frauen verdienen weniger in den gleichen Berufen als Männer. So auch in Ungarn. Und auch die Rollenstereotypen zeigen sich in frauen- und männertypischen Berufen wie überall in der EU.

Fazit: In Ungarn muss es familienfreundlichere Arbeitsplätze geben. Die Arbeitgeber haben die Pflicht gute Arbeitsplätze für Frauen und Männer anzubieten.

 

Helga Jungheim (Ver.di Aachen) erläutert einen dreistufigen Empowerment-Prozess. Selbst- und Fremdwahrnehmung, Erkenntnisse daraus akzeptieren und dann das eigene Verhalten verändern. Der soll helfen die Genderperspektive überhaupt als Fakt zu akzeptieren. Dazu braucht es natürlich Ausdauer, das so genannte persecoaching. Rebecca Peters 2015

 

Für die Gewerkschaften

ist Bildung für ihre hauptamtlichen Beschäftigen und BetriebsrätInnen zentrale Punkt – um die Genderperspektive zu vermitteln. So können zum Beispiel Stresslandkarten der eigenen Lebenswelt gezeichnet werden.

Tarifkommissionen sollten in Zukunft von Frauen und Männern paritätisch besetzt werden.

Sozialkompetenzen sollten bezahlbar in Tarifverträge aufgenommen werden.

 

Milan Petkovski (EU-OSHA Skopje) betont, dass vor allem Detektieren, Analyse, Handeln ermöglicht, Risiken am Arbeitsplatz zu erkennen und Prävention zu betreiben. Das geht allerdings nur dann, wenn das Management eines Unternehmens mitmacht. Zirka 30 % aller Unternehmen in der EU betreiben ein psychosoziales Gesundheitsmanagement für ihre Arbeitsplätze.

Die EU-OSHA erkennt, dass nicht der Mensch die Ursache für Krankheiten am Arbeitsplatz ist – sondern die Arbeit selbst.

In Mazedonien haben wir die deutsche Strategie der Prävention in Gesetze verarbeitet. Aber wir haben vergessen – alles abzuschreiben. So gibt es keine Kompensation für Arbeitsunfälle, die in Mazedonien häufig sind. Gerade auf dem Balkan gibt es einen Zusammenhang zwischen Rollenstereotypen und Gesundheit am Arbeitsplatz.

 

Am Abschlusstag

wurden die Erfahrungen aus den Referaten reflektiert und für die eigene Weiterarbeit abgestimmt und weitere Verabredungen getroffen.

 

Prof. Dr. Michael Bach 2015Es wurde die verstärkte Nutzung gewerkschaftliche Netzwerke zum Thema Gender ins Auge gefasst. Dies sei auch für Mazedonien – ein kleines Land im Aufbau sozialer, gesellschaftlicher Strukturen – wichtig – weil die bisherigen Erfahrungen eingebracht werden können. Letztendlich ist es dringend nötig, sich global aber mindestens europäisch zu organisieren – um diese Probleme zu lösen. Denn das Problem ist nicht nur mazedonisch, sondern global.

Da das Thema Genderperspektive relativ neu ist – wollen die GewerkschafterInnen einen stärkeren Augenmerk auf Arbeits- und Gesundheitsschutz legen und die Genderperspektive einbeziehen.

Das Thema Genderperspektive ist heute besonders wichtig, weil trotz zahlreicher Arbeitsgesetze vor allem Frauen in vielfältiger Weise beruflich benachteiligt sind und in geschlechtsspezifischen Rollen gefangen sind – obwohl sie den Wunsch haben – das zu verändern.

 

Klar geworden ist ganz besonders, dass die Rollenstereotypen und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit am Arbeitsplatz kein biologisches – sondern ein soziokulturelles Problem ist.

 

Die Öffentlichkeit ist stärker zu informieren über Gender und Gesundheit am Arbeitsplatz – über Chancen und Risiken für die arbeitenden Menschen.

Kritische Anmerkungen beklagen, dass die EU zwar entsprechende Gesetze hat, aber die Politik sich nicht wirklich verantwortlich dafür fühle, diese Gesetze auch mit Leben zu füllen. Ein kleines Land wie Mazedonien – dass noch nicht Mitglied der EU ist – werde zur Zeit durch eine Art Turbo-Kapitalismus überrollt und mit den sozialen und menschlichen Folgen alleine gelassen. Rainer Rißmayer 2015

Zu den Sozialpartnern gehören aber nicht nur die Arbeitnehmer – sondern auch die verantwortlichen Politiker und die Arbeitgeber.

Wichtig ist außerdem schon in der Schule Generationen auszubilden, die diese GenderProbleme einfach nicht mehr haben mit einem offenen, toleranten Menschenbild haben.

Die Arbeitsgesetze sind in Mazedonien vorhanden. Doch leider sind sie nicht implementiert. Es ist für Gewerkschafter ein täglicher Kampf – auf ihre Einhaltung zu bestehen. Da muss sich vor allem in der mazedonischen Politik sehr viel verändern. Und zwar schnell – weil die Globalisierung voranschreitet und immer mehr Menschen in soziale und gesellschaftliche Notlagen geraten.

 

Das Thema Genderperspektive

ist relativ neu aber besonders wichtig, weil trotz zahlreicher Arbeitsgesetze vor allem Frauen in vielfältiger Weise beruflich benachteiligt sind und in geschlechtsspezifischen Rollen gefangen sind – obwohl sie den Wunsch haben – das zu verändern. Aber Männer betrifft das ebenso. Sie müssen von festgefügten Rollenbildern – auch über sich selbst – Abschied nehmem. Es gilt – ein gesellschaftliches Interesse zu schaffen. Allerdings wird das Jahre dauern. Wie bei allen grundlegenden Veränderungen, die den menschlichen Alltag und sein Leben betreffen.

 

 

 

 

Fotonachweis (von oben nach unten):

Slobodan Antovski

Michael Gümbel

Antonio Brandao Guedes

Dr. Goce Mladenovski

Helga Jungheim

Imre Palkovics

Prof. Dr. Aleksandar Ristovski

Ludger Bentlage

Milan Petkovski

Norbert Klein

Rebecca Peters

Prof. Dr. Michael Bach

Rainer Rißmayer

Text und Fotos von Axel Gauster. © 2015 Axel Gauster/Nell-Breuning-Haus